Unter Druck

Diagnose: lesbisch

Globuli, Gespräch und Gebet – damit wollen selbsternannte Heiler Schwule und Lesben bekehren. Ihre Therapien sind unwissenschaftlich und können Leben zerstören.

Irgendwann schlug die Therapeutin Elektroschocks vor. Nur ganz leichte, versprach sie. Ein Stoß, bei jedem Foto einer hübschen Frau. Bis Raphaelle Rousseau die Bilder nicht mehr mit Lust verbinden würde, nur noch mit Schmerz. Bis sie endlich mit ihrem besten Freund schlafen wolle.

Rousseau, 29, feuerrotes Haar, tätowierte Rosenblüten auf Armen und Dekolletee, Typ Beth Ditto, benutzt heute nur noch Künstlernamen. Zu sehr erinnert sie ihr Familienname an ihr früheres Leben, das sie angeschlagen zu der Therapeutin führte – und gebrochen wieder heraus.

Rousseau fährt damals einmal im Monat die 33 Kilometer von München in die Praxis, schon zwei Jahre lang. Sie hat Bindungsängste – der ursprüngliche Grund für die Therapie. Manch homophobe Bemerkung der ausgebildeten Heilpraktikerin lächelt sie weg. Rousseau vertraut ihr wie kaum jemandem zuvor.

An jenem Tag sagt die Psychotherapeutin zu ihr: „Jetzt sollten wir an deiner Homosexualität arbeiten. Du bist kaputt.“

Rousseau glaubt ihr.

Die Therapeutin beginnt, sie mit rotem und pinkem Licht gegen „homosexuelle Energien“ zu bestrahlen. Dann Hypnose. Vor den Elektroschocks hat Rousseau zu große Angst, sie bleibt verschont. Ein halbes Jahr dauert die Behandlung.

Dabei gilt Homosexualität schon lange nicht mehr als Krankheit. Da sind sich die Weltgesundheitsorganisation, Psychologenverbände und Wissenschaftler weltweit einig. Trotzdem gibt es sie: Ärzte und Therapeuten, die Homosexuelle umerziehen wollen. Wer wolle, könne hetero werden, so ihr Credo. Die Gefahren ignorieren sie.

Einer dieser Mediziner ist Gero Winkelmann, Allgemeinarzt, Homöopath, Gründer und Vorsitzender des „Bundes katholischer Ärzte“ – der nach eigenen Angaben 200 Mitglieder hat und auf seiner Website von Homosexualität als „perverser sexueller Fixierung“ schreibt.

Die „Heiler“ berufen sich auf die Bibel

In Winkelmanns Wohnzimmer blicken Jesus und Maria von den Wänden. Am Esstisch voller kleiner Globuli-Ampullen sitzt Winkelmann, der von Statur und Aussehen Horst Seehofer ähnelt. Er doziert darüber, was seiner Meinung nach schwul macht: „Wenn Ihr Vater etwa Tuberkulose hatte, dann kann das dazu führen, dass Sie schwul werden.“ Auch weiche Knochen von zu viel Weichmacher im Waschmittel seien ein Risikofaktor. Er meint das ernst.

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Gebet und Buße gehören zum Therapieansatz von Gero Winkelmann.
Gebet und Buße gehören zum Therapieansatz von Gero Winkelmann. Foto: Christoph Koopmann

Vier bis neun Menschen kommen seit 2008 jedes Jahr zu Winkelmann – wegen ihrer Homosexualität. Eine Muslima suchte Hilfe für ihren Sohn, ein Mexikaner reiste 9600 Kilometer zu Winkelmann nach Unterhaching bei München. Der Therapieansatz ist jedes Mal gleich: Erst erstellt er ein „Krankheitsbild“. Dann gibt er Sulfur, Nosoden und Luesinum – homöopathische Mittel. Sie sollen den Körper entschlacken, alte Erbkrankheiten auswaschen. Weitere Medizin: Gebet und Buße.

Überhaupt berufen sich die allermeisten „Heiler“ auf die Bibel. Die Idee für diese sogenannten „Konversionstherapien“ wurde mit der evangelikalen Bewegung in den USA groß. Auch in Deutschland gibt es Dutzende Anbieter, Einzeltherapeuten und Organisationen, etwa das evangelikale „Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft“ (DIJG) oder „Wuestenstrom“. Niemand weiß genau, wie viele es sind, nicht einmal die vermeintlichen Heiler selbst.

Sie bieten Seminare, Workshops, Gottesdienste – überall in Deutschland.
Die beiden großen Kirchen ringen um eine klare Haltung zum Thema Homosexualität: Das „Heiler“-Netzwerk DIJG beschreibt sich als „Forschungszentrum“ der „Offensive Junger Christen“, einem Fachverband des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland. Doch ein EKD-Sprecher betont, dass man eine „deutlich andere Position“ gegenüber der Konversionstherapie habe als das DIJG.

Vom katholischen Erzbistum München-Freising wird Gero Winkelmanns Ärztebund nicht als kirchlicher Verein anerkannt. Die Bischofskonferenz schreibt auf Anfrage, ihr seien Anbieter von Konversionstherapien nicht bekannt. Darüber hinaus verweist ein Sprecher auf den Katechismus. Dort steht: „Homosexuelle Handlungen verstoßen gegen das natürliche Gesetz.“

Auch im Behandlungszimmer von Raphaelle Rousseaus Therapeutin hing ein Kreuz, genau wie in ihrem erzkatholischen Elternhaus. Ihre Homosexualität war dort ein Tabu. Rousseaus Mutter nannte sie eine „Lesbianerin“. „Lesbe“ brachte sie nicht über die Lippen. „Als dann auch noch die Therapeutin sagte, das sei krank, dachte ich endgültig: Ich bin eine Versagerin“, erzählt Rousseau.

In einem Klinikbüro in Berlin-Mitte sitzt eine schmale Frau mit Kurzhaarschnitt, die solche Geschichten wütend machen. Lieselotte Mahler, 42, ist Oberärztin in der psychiatrischen Klinik der Charité. „Verfahren, um die sexuelle Orientierung eines Menschen wirklich zu verändern, gibt es nicht“, sagt sie.

Mahler hält Konversionstherapien für grundfalsch. Statt den Patienten in seiner homosexuellen Identität zu stärken, zerstörten sie sein Selbstbild. Die dubiosen Therapeuten vermittelten: Deine Homosexualität ist an allem schuld.

Oberärztin Lieselotte Mahler. Foto: Helena Piontek

Gerade bei Menschen, die eh schon mit ihrer sexuellen Orientierung haderten, steige die Suizidgefahr enorm.

Ein Verbot ist nicht geplant

Trotzdem sind Konversionstherapien in Deutschland erlaubt. Seit 2009 setzt sich Mahler mit anderen Ärzten für ein Verbot ein, wie es etwa in Malta schon gilt. Sie bewegten die Weltärztekammer dazu, die Therapien zu verurteilen, die Bundesärztekammer zog nach. 2013 wollten die Grünen ein Verbot durchsetzen, scheiterten jedoch. Im Juni 2018 fragte die Linksfraktion die Bundesregierung, ob sie eine gesetzliche Regelung von Konversionstherapien plane. Die schlichte Antwort: „Nein.“ Auf diese Position verweist das Bundesgesundheitsministerium weiterhin.

Raphaelle Rousseau hofft, dass bald niemand mehr erleben muss, was sie durchgemacht hat. Hetero konnte sie in der Therapie nicht werden, obwohl sie es immer wieder mit Männern versucht hat. Das wurde ihr klar, und irgendwann auch ihrer Therapeutin. „Ich dachte: Dann bleib ich halt kaputt“, sagt Rousseau heute, sechs Jahre danach.

Zeit war die eine Medizin, die ihr half, ihre Homosexualität endlich zu akzeptieren. Die andere: Ihre Partnerin, mit der sie nun seit fünf Jahren zusammen ist. Nur manchmal, wenn Freundinnen über einen hübschen Mann kichern, hört Rousseau in ihrem Kopf noch die Stimme der Therapeutin, die ihr zuflüstert: „Du bist krank.“

Aufmacherfoto: Marco Karp

In einer früheren Version des Textes wurde ein anderer Künstlername verwendet (Die Redaktion, 11. März 2019).