Wer schwanger wird, fliegt: Damit drohen Professoren noch immer ungestraft. Mit fatalen Folgen für die Frauen – und die Hochschulen.
Elena Fischer würde gerne ein Kind bekommen, traut sich aber nicht. Sie promoviert in Experimentalphysik, ist 30 Jahre alt und hat mit ihrem Partner gerade ein Haus gekauft. Ihr nächster logischer Schritt: schwanger werden. Wäre da nicht ihr Chef.
„Wenn eine von euch schwanger wird, verlängere ich ihren Vertrag nicht.“ Elena Fischer
„Wenn eine von euch schwanger wird, verlängere ich ihren Vertrag nicht“, drohte er seinen Doktorandinnen mehr als einmal. Fischers Angst, ihren Job zu verlieren, ist groß. Ihren Namen möchte sie nicht öffentlich nennen, er ist geändert, wie die Namen aller Wissenschaftlerinnen in diesem Artikel. Sie haben darum gebeten, weil sie um ihre Zukunft bangen. Schon das zeigt das Ausmaß des Problems.
Forschungsergebnisse verfallen schnell
Schwangerschaft und Karriere, das ist in vielen Berufen schwer zu verbinden. Doch in den Naturwissenschaften stehen Doktorandinnen besonders unter Druck: Arbeitgeber ignorieren den Anspruch auf Mutterschutz und Elternzeit trotz der Arbeit mit gefährlichen Chemikalien. Weil Forschungsergebnisse schnell überholt sind, ist die Konkurrenz groß. Der Druck von Vorgesetzten verbreitet Angst in den Laboren: Viele Wissenschaftlerinnen trauen sich erst gar nicht, schwanger zu werden. So bleiben laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 schließlich 49 Prozent von ihnen kinderlos, obwohl neun von zehn aller Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler angeben, Kinder zu wollen.
Fester Händedruck, selbstbewusster Blick, klare Sprache – Karin Büchel ist eine, die weiß, was sie will. Kind und Karriere? Das muss drin sein, dachte sie sich und wurde während der Promotion schwanger. Mittlerweile ist ihre Tochter elf Monate alt. Die Neurobiologin experimentiert mit Mäusen, um die Ursachen von Autismus zu ergründen. Auf dem Laptop tippt sie die Ergebnisse ihrer Experimente ein, auf ihrem Schoß schläft ihre Tochter – sie sitzt im Kinderzimmer des Instituts. Universitäten werben mit solchen Szenen: Kinderbetreuung, flexibles Arbeiten, wissenschaftliche Karriere neben der Erziehung. Sind Kinder in der Wissenschaft also kein Problem?
Nach der Babypause war ihr Projekt weg
Für Karin Büchel schon: Als sie nach Abschluss ihrer Promotion und fünf Monaten Baby-Pause wieder ins Labor kam, hatten Kollegen ihr Experiment so fortgeführt, dass sie ihre Erstautorenschaft verlor. Doch nur die bringt sie als Wissenschaftlerin in ihrer Karriere weiter.
Andreas Keller findet, die Familienfreundlichkeit an Universitäten sei oft nur etwas für die Werbebroschüre. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftsgewerkschaft GEW und kennt das Problem seit vielen Jahren. Die Universitäten richten zwar Kitas und Stillzimmer ein, tun aber nichts gegen die großen Hürden, sich überhaupt für ein Kind zu entscheiden: kurze Vertragslaufzeiten, regelmäßige 70-Stunden-Wochen und eine Bezahlung, die der Qualifikation nicht entspricht.
Wer durch Drittmittel zum Beispiel aus der Wirtschaft finanziert wird, kann mit Ende des Projekts auf der Straße landen – sogar im Mutterschutz.
Vor allem fehle es an einer sicheren Finanzierung der Projekte, weiß Keller. Denn viele Promovierende werden durch Stipendien oder Drittmittel und nicht durch den universitären Haushalt bezahlt. Wer mit einem Stipendium promoviert, hat weniger Arbeits- und Sozialrechte, weil die Doktorandin nicht an der Universität angestellt ist. Wer durch Drittmittel zum Beispiel aus der Wirtschaft finanziert wird, kann mit Ende des Projekts auf der Straße landen – sogar im Mutterschutz. „Oft sind die Universitäten nicht bereit, mit Haushaltsmitteln in die Bresche zu springen“, kritisiert Keller.
Konfrontiert mit den Vorwürfen, sieht die Hochschulrektorenkonferenz als Vertretung der deutschen Universitäten kein Problem: Die Universitäten hielten alle Schutzfristen ein, außerdem arbeite man aktiv daran, die „Arbeitsbedingungen familiengerecht zu gestalten.“
Davon hat Birgit Glaser wenig erfahren – schlimmer noch: Ihr Arbeitgeber diskriminierte sie als Doktorandin ganz direkt. Die Biologin erinnert sich an das Gespräch, in dem sie ihrem Chef von der ersten Schwangerschaft erzählte: „Erst hat er mich schockiert angeguckt, um dann einfach über das Forschungsprojekt zu sprechen.“
Frauen bleiben nicht lange in der Wissenschaft
Glaser ist eine, die in sich ruht, die weiß, wie das Leben manchmal so sein kann. Während der Promotion war sie das erste Mal schwanger. Über der Treppe in ihrem Haus zeugen in Holz gerahmte Momentaufnahmen von einem glücklichen Familienleben. Sieben, fünf und drei Jahre alt sind ihre Kinder nun.
„Ich habe den ganzen Mutterschutz und die acht Monate danach ohne Bezahlung gearbeitet.“ Birgit Glaser
Mit einem unangenehmen Gespräch war es nicht getan: Glasers Vertrag lief vor dem Mutterschutz aus, trotzdem setzte ihr Chef sie unter Druck, weiter an dem Projekt zu arbeiten. „Ich habe den ganzen Mutterschutz und die acht Monate danach ohne Bezahlung gearbeitet“, erzählt Glaser. Das Argument ihres Vorgesetzten: Dafür publiziere sie ja in einer sehr guten Fachzeitschrift.
Für sie sind Kinder und Wissenschaft unter diesen Bedingungen nicht vereinbar: „Dieses ganze System zielt auf Konkurrenz und Zeit ab und wenn einem etwas dazwischen kommt, wird nur der Druck höher, die Deadline bleibt bestehen.“ Das zwingt Frauen zu einer Entscheidung: Kind oder Karriere.
Und auch die Universitäten leiden darunter: Erst investieren sie viel Zeit und Geld in die Nachwuchswissenschaftlerinnen, nur um sie dann zu verlieren, weil die Wissenschaft Kinder nicht vorsieht. Bei den Promovierenden sind noch 41 Prozent Frauen, bei den Professoren gerade einmal 22 Prozent. So bringen sich die Universitäten um den eigenen Nachwuchs.
Die dreifache Mutter Birgit Glaser und Autismus-Expertin Karin Büchel haben sich für ihre Kinder und gegen eine wissenschaftliche Karriere entschieden, trotz sehr guter Leistungen: Die Doktorarbeit schlossen beide mit Auszeichnung ab. Glaser hat diese Entscheidung schon vor Jahren getroffen, Büchel wirft jetzt hin: „Ich habe keine Lust mehr, mich diesem System zu unterwerfen.“
Grafiken: Kim Ihlow
Aufmacherbild: Helena Piontek