Schwule gehören nicht in die Polizei – laut sagt das kaum mehr jemand. Diskriminierung erledigt? Von wegen, finden Harald Bayer und seine Kollegen.
Ein Penis, mit schwarzem Filzstift auf einen Pappkarton geschmiert. Den Pappkarton, in dem Harald Bayer seine persönlichen Sachen verstaut hatte. „Ich war so sauer“, sagt der Polizist heute, sechs Jahre später. Damals arbeitete er noch in der Einsatzzentrale München. Bis heute weiß der 41-Jährige nicht, welcher seiner Kollegen ihn so beleidigt hat. Aber noch immer spürt man die Empörung, wenn er davon spricht.
Harry, wie er auch genannt wird, ist groß, hat breite Schultern und eine Glatze. Er ist Polizist. Und schwul. Homosexuelle Beamte haben mit Diskriminierung zu kämpfen. Gerade in Bayern gilt der Polizist als Pfundskerl, als einer, der auf den Tisch hauen kann. Und das können schwule Polizisten eben nicht – sagt das Klischee. Dieses Vorurteil trifft viele Beamte: Geht man vom gleichen Prozentsatz aus, der auch auf den Rest der Gesellschaft zutrifft, sind rund fünf Prozent der 35.000 bayerischen Polizeibeamten homosexuell.
Schwule Polizisten können erzählen von Beschimpfungen wie „Arschficker“ und „Schwuchtel“, von Kollegen, die nicht gleichzeitig mit ihnen duschen wollen. Und vor allem von dem Gefühl, dass hinter geschlossenen Türen noch viel mehr Sprüche fallen, die man ihnen nie ins Gesicht sagen würde.
Schon aus historischen Gründen ist das Verhältnis von Schwulen und Polizei nicht einfach. Stichwort Paragraf 175 – bis 1994 standen sexuelle Handlungen zwischen Männern im deutschen Gesetz unter Strafe. Harald Bayer erinnert sich noch genau an diese Zeit, und an den Kollegen, mit dem er während seiner Ausbildung eine Beziehung hatte. Der damals schon den Mut hatte, sich zu outen. Dem sie beim Sport nicht zu nahe kommen wollten. Der von den Kollegen der Kriminalpolizei abgeholt wurde, um vernommen zu werden – wie ein Verbrecher. „Für mich war damals klar, bei der Polizei wirst du’s nie sagen können“, sagt Bayer.
„Das alte Bild des Polizisten als weißem, heterosexuellen Mann prägt die Polizeiarbeit nach wie vor.“ Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften
Natürlich würde heute jeder bei der Polizei verneinen, dass er etwas gegen Schwule habe, sagt Rafael Behr, Professor an der Polizei-Akademie Hamburg. Aber unterschwellig hätten sich die Vorurteile gehalten. „Das alte Bild des Polizisten als weißem, heterosexuellen Mann prägt die Polizeiarbeit nach wie vor“, sagt Behr. Und: „Bei der Polizei herrscht noch immer Gleichmacherei, es darf keine Ausnahmen geben. Da haben alternative Vorstellungen von Männlichkeit keinen Platz.“
Wenn Harald Bayer seine Uniform anzieht, bleibt von seinem eigenen Stil noch ein kleiner silberner Stecker am rechten Ohrläppchen. Während englische Polizisten sogar Schulterklappen in Regenbogenfarben tragen dürfen, sind die Vorschriften in Deutschland streng, im CSU-geführten Bayern noch strenger.
Bayern gilt als besonders konservativ
„Wir wollen Flagge zeigen, dass wir genauso zur Polizei gehören." Harald Bayer, Polizist
Sich bei Szene-Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day offen in Uniform zeigen zu dürfen, ist für die bayerischen Beamten ein Kampf. „Wir wollen Flagge zeigen, dass wir genauso zur Polizei gehören“, sagt Bayer. Das bayerische Versammlungsrecht aber macht das schwer. Denn der CSD gilt als politische Parade. Und weil Polizisten nach außen hin politisch neutral sein sollen, dürfen sie da keine Uniform tragen.
Während die Innenministerien in Baden-Württemberg und Berlin ihren Beamten trotzdem eine Trageerlaubnis erteilen, müssen die bayerischen Polizisten meist auf ihre Uniformen verzichten. „Das ist vielleicht nicht mehr das Schmuddel-Denken von früher, aber man hat in Bayern leider immer noch Bedenken, dass so das Ansehen der Polizei geschädigt wird“, sagt Bayer.
In Berlin ist man da schon weiter: Dort gibt es bei der Polizei drei Ansprechpersonen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen – in Bayern keine einzige. Dabei würden sich auch homosexuelle Polizeibeamte in Bayern einen eigenen Ansprechpartner wünschen. Zum Beispiel Wolfgang Appenzeller von der Bundespolizeidirektion München, ein ebenso bärtiger wie breitschultriger Mann mit Regenbogenarmband am Handgelenk. „Das wäre ein Zeichen dafür, dass die Behördenleitung die Thematik unterstützt“, sagt er.
Das bayerische Innenministerium hält einen solchen Posten nicht für notwendig. Hier verweist man darauf, dass homosexuelle Beamte sich heute schon an den Personalrat oder den Psychologischen Dienst wenden könnten.
Es regt sich Widerstand
Homosexuelle Polizisten wie Harald Bayer oder Wolfgang Appenzeller haben sich inzwischen zu Fürsprechern in eigener Sache gemacht. Sie sind Vorstandsmitglieder von Velspol Bayern. Seit seiner Gründung vor zehn Jahren verfolgt der „Verein lesbischer und schwuler Polizeibediensteter“ das Ziel, gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten bei der Polizei zu kämpfen.
Doch während die Stammtische in anderen Bundesländern öffentlich sind, verabreden sich die 70 Mitglieder in Bayern meist im Geheimen. „Manche haben da richtig Paranoia, dass ein Kollege oder Vorgesetzter sie sieht und eine schlechte Beurteilung schreibt“, sagt Appenzeller.
„Mit Schwulen wie mir kann man auch auf Streife fahren, man kann sich auf mich genauso verlassen.“ Harald Bayer, Polizist
Aber die bayerische Polizei denkt langsam um. Auf Initiative von Velspol Bayern absolvieren die Polizisten in ihrer Ausbildung seit vier Jahren ein Seminar zum Thema „Sexuelle Orientierung bei der Polizei“. Dort unterrichtet auch Harald Bayer. Seit seinem offiziellen Outing vor 9 Jahren will er anderen homosexuellen Polizisten Mut machen, Vorurteile auszuräumen: „Mit Schwulen wie mir kann man auch auf Streife fahren, man kann sich auf mich genauso verlassen.“
Der Widerstand der Polizisten bewirkt etwas, am Ziel angelangt ist er noch nicht. Davon zeugt ein Stück Pappe, das Harald Bayer nie weggeworfen hat. Ausgeschnitten aus dem Karton, auf dem ihm jemand vor sechs Jahren den Penis geschmiert hatte. Heute bringt Bayer das Stück Pappe mit in seinen Unterricht – „um zu zeigen, was immer noch möglich ist.“
Aufmacherfoto: Stephanie Albinger